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Alt 19.05.2007, 21:58
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Ayla Ayla ist offline
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Standard Ein Abschied im Wiedersehen



© Anne Wolter



Neulich passierte etwas Sonderbares. Ich traf dich. Ich hatte lange auf den Augenblick gewartet, das kannst du mir glauben. Ich war so unruhig, weil ich dich wiedersehen musste. So oft habe ich mich gefragt, wie es dir geht, wie du ausschaust und vor allem, ob du auch manchmal an mich denkst. Das Bedürfnis dich wiedersehen zu wollen wuchs ständig. Es gab Pausen. Tage, an denen ich nicht so viel an dich denken musste und nicht ständig in Erinnerungen schwelgte, aber diese Pausen kamen immer seltener und stattdessen wuchs das Gefühl dir nahe sein zu wollen. Die Tage vor dem Tag, an dem ich dich nach vielen Jahren wiedersehen sollte, war ich nervös. Es war mir egal wie lange wir uns sehen würden, es war mir egal unter welchen Umständen. Mein einziger Gedanke galt dich wiedersehen zu dürfen. Ich hatte so lange darauf gehofft.
Und dann kam der Tag. Der Tag an dem ich dich wiedersah. Nein, ich war nicht enttäuscht. Obgleich unsere Begrüßung recht kühl und mit Abstand von statten ging. Aber was hatte ich erwartet? Du erschienst mir einen Augenblick lang fremd. Doch dieser Eindruck verschwand recht bald. Wir saßen uns kurze Zeit später gegenüber an einem runden Tisch, im obersten Stock eines Cafés. Zuerst erschien die Stimmung etwas gespielt und hilflos. Ich hatte den Eindruck, dass du dich fragtest, warum du eigentlich hier warst. Wir bestellten. Ich eine heiße Schokolade, oder war es Kakao? Du bestelltest einen Kaffee. Auch rauchtest du immer noch. Das störte mich aber nicht. Du tautest langsam auf. Wir schnitten viele Themen an, aber einige gingen auch in die Tiefe. Wir redeten hauptsächlich über alte Zeiten und über meine Familie. Dinge mit denen wir uns eben vor Jahren auseinander setzten, als wir uns mehr oder weniger regelmäßig sahen. Ich erinnere mich dich angesehen zu haben und ich erkannte, dass du immer noch wahnsinnig attraktiv warst. Du hattest dich kaum verändert und warst immer noch genauso liebenswert, hattest dir deine innere Schönheit bewahrt.
So schön diese zwei Stunden waren, so grausam waren sie im Nachhinein. Wider erwarten fühlte ich mich nicht besser danach. Im Gegenteil. Aber ich bereute unser Treffen nicht. Auch heute nicht, denn mittlerweile geht es mir wieder gut, besser als vor dem Treffen.
Wir gingen wieder getrennte Wege. Ich stand neben mir. Das ging ein paar Tage so. Ich dachte nur über unser Treffen nach. Ich sah immer wieder dein Gesicht vor meinem. Deine Haselnuss braunen Augen im Kontrast zu deinem blonden Haar. Deine vor Aufregung rot glühenden Wangen und Ohren. Deine großen, schönen Hände. Ich hätte in dem Moment alles für dich aufgegeben, ja gesagt, wenn du mich gefragt hättest.
Wir verabschiedeten uns, als würden wir uns morgen wiedersehen. Doch im nächsten Moment warst du wieder weit weg und liest mich zurück. Nein, wir ließen uns zurück.
Zuerst war ich betäubt, doch dann spürte ich den Schmerz, der sich einen Weg nach außen bahnte. Nach ein paar Tagen völliger Abwesenheit begriff ich, und es brach aus mir heraus, schüttelte mich. Danach ging es mir besser. Ich war immer noch sensibel, aber befreit. Ich hatte es akzeptiert, wenn auch unter Schmerzen, dass es kein "uns" in der Gegenwart gäbe. Wie konnte ich das je als eine Möglichkeit in Erwägung gezogen haben? Nach allem, was passiert ist. Ich schaffe es immer wieder mich selbst zu überraschen.
Vor allem hat es mich auch erschreckt, was ich bereit gewesen wäre aufzugeben, welche Opfer ich gebracht hätte. Liebe macht blind. An dem Spruch ist definitiv etwas dran. Meine Liebe zu dir wird nie ganz vergehen. Das weiß ich mittlerweile nach all den Jahren, und ich gebe es zu. Allerdings habe ich nun auch gelernt Erinnerungen (der Vergangenheit) und Träume der Gegenwart auseinander zu halten. Es ist nichts wie damals und wird es nie wieder sein. Ich musste von uns loslassen, um wieder in der Gegenwart mein Leben leben zu können. Das "uns" ist ein Teil unserer vergangenen Gemeinsamkeit.
Lebe wohl.
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Warum? DARUM!
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